Wilhelmshaven. „Der Rückgang der Fertigstellungszahlen beim Wohnungsbau in Niedersachsen ist besorgniserregend.“ Nach Ansicht von Dr. Susanne Schmitt, Direktorin des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen Bremen (vdw), ist dieser Abwärtstrend auf eine Fülle investitionshemmender Einflussfaktoren zurückzuführen. Beim vdw-Verbandstag, der heute und morgen (3./4. September) in Wilhelmshaven stattfindet, nannte sie in erster Linie hohe Baukosten, fehlendes Bauland, lange Planungs- und Genehmigungszeiten und ausgeschöpfte Kapazitäten in Bauindustrie und Bauhandwerk als Gründe für die Zurückhaltung im Wohnungsneubau. Hintergrund: Das Statistische Bundesamt hatte mitgeteilt, dass die Zahl der neugebauten Wohnungen in Niedersachsen seit 2016 von 29.300 auf 27.366 Einheiten im vergangenen Jahr gesunken ist.
Zum Verbandstag erwartet der vdw rund 250 Teilnehmer, u.a. den Niedersächsischen Bauminister Olaf Lies, den Bremer Staatsrat Ronny Meyer, den Wilhelmshavener Oberbürgermeister Andreas Wagner und den Präsidenten des GdW, Axel Gedaschko. Neben den politischen Themen stehen unter anderem Fragen zu Mobilitätskonzepten sowie zur Zukunft von Quartiersentwicklung und Großwohnsiedlungen auf dem Tagungsprogramm.
Verbandsdirektorin Dr. Schmitt sagte beim Jahrestreffen der sozial orientierten Wohnungswirtschaft in Wilhelmshaven: „Unsere Mitgliedsunternehmen haben zunehmend Schwierigkeiten, neue bezahlbare Wohnungen zu errichten.“ Die Baupreise kennen nur eine Richtung: aufwärts! Nach Ermittlungen des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen sind Preise für Rohbauarbeiten seit dem Vorjahr um fast sechs Prozent, für Maurerarbeiten um mehr als sechs Prozent und für Erdarbeiten sogar um mehr als sieben Prozent gestiegen. „Am gravierendsten sind die Kostensteigerungen jedoch beim Ausbau der Gebäude“, betonte Dr. Schmitt und verwies in dem Zusammenhang auf immer strengere Vorschriften: „Die Verbesserung der Energieeffizienz von Wohnhäusern, neue Heiz- und Lüftungstechniken, die Schaffung von Barrierefreiheit, die Anforderungen an Brand- und Schallschutz – dies alles kostet heute im Durchschnitt fast 900 Euro pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren es knapp 450 Euro, vor zwei Jahren
750 Euro.“
Als zunehmend großer Engpass erweist sich landauf, landab das knappe Baulandangebot. „Unser erklärtes Ziel im Bündnis für bezahlbares Wohnen ist es, bis 2030 niedersachsenweit 40.000 neue öffentlich geförderte Wohnungen zu bauen. Doch dafür fehlen überall preisgünstige Grundstücke, die bezahlbares Wohnen überhaupt erst ermöglichen „, kritisierte vdw-Direktorin Dr. Schmitt. Der vdw appelliert an die Kommunen, vermehrt Flächen für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Dr. Schmitt fordert: „Vorfahrt für unsere Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften; denn wir brauchen in Niedersachsen keine Luxuswohnungen mehr, sondern sozial verträgliche Wohnungsangebote für ältere Menschen, für Familien, für Alleinerziehende und für Berufsanfänger.“
Auch als Reaktion auf die schwierigen Rahmenbedingungen haben die vdw-Mitgliedsunternehmen im vergangenen Jahr ihren Schwerpunkt entgegen der Planungsrechnungen nicht beim Neubau, sondern bei Modernisierung und Instandhaltung gesetzt. Insgesamt haben sie mehr als 1,2 Milliarden Euro investiert, davon knapp 640 Millionen in die Sanierung bestehender Gebäude. Damit erreichte das Investitionsvolumen einen neuen Höchststand.
Für das laufende Geschäftsjahr haben die vdw-Wohnungsunternehmen Gesamtausgaben in Höhe von 1,4 Milliarden Euro angekündigt (800 Millionen Euro im Neubau, 600 Millionen für den Bestand). Verbandsdirektorin Dr. Schmitt: „Die Sanierung der Bestände insbesondere im energetischen Bereich und bei der Schaffung von barrierefreiem Wohnraum für ältere Menschen wird vorangetrieben. Auch die neue Wohnraumförderung in Niedersachsen und in Bremen wird von unseren Mitgliedern gerne in Anspruch genommen. In Niedersachsen erlebt das geförderte Bauen mit dem Start der neuen, komplett überarbeiteten Richtlinie sogar eine kleine Renaissance.“
Nicht nur auf Bundes- und Länderebene, sondern auch in den Kommunen genießt das Thema Wohnen zunehmend Priorität. Die Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften vor Ort sind dabei wichtige Partner für die Kommunen, denn sie sorgen seit Jahren mit ihren nachhaltig und sozial orientierten Geschäftsmodellen für bezahlbares und sicheres Wohnen in allen Regionen Niedersachsens und Bremens. Sie kennen die Strukturen, sie wissen um den Bedarf, sie kümmern sich um Menschen und Nachbarschaften. „Die vdw-Mitglieder werden auch zukünftig Verantwortung für Landkreise, Städte und Gemeinden übernehmen“, betonte Dr. Schmitt.
Die sozial orientierte Wohnungswirtschaft, die der vdw vertritt, spricht sich eindeutig für das Flächenmodell aus. Verbandsdirektorin Dr. Schmitt erläuterte: „Wir sind der Überzeugung, dass ein länderbezogenes wertunabhängiges Flächenmodell mit einem Ausgleichsfaktor, der unter anderem die Lage des Grundstücks berücksichtigt, eine unbürokratische Lösung bietet und zu den geringsten (Mehr-)Belastungen auch für unsere Mieter führt.“ In diesem Zusammenhang warnte die Verbandsdirektorin davor, die Umlagefähigkeit der Grundsteuer über die Betriebskosten abzuschaffen: „Das würde die Investitionsfähigkeit unserer Mitgliedsunternehmen dramatisch schwächen und geplante Modernisierungsprojekte und soziale Leistungen gefährden.“
Der vdw und seine Mitglieder lehnen eine staatliche Regulierung von Mietpreisen kategorisch ab. Die Mietpreisbremse, die in der Stadt Bremen und in 19 niedersächsischen Städten und Gemeinden gilt, hat die Engpässe beim bezahlbaren Wohnen in keiner Weise beheben können. „Dadurch wird keine einzige Wohnung neu gebaut. Und ein Mietendeckel, wie er derzeit in Berlin diskutiert wird, würde vollends übers Ziel hinausschießen“, sagte
Dr. Schmitt.
Der vdw hält die Vorschläge für eine bundesweite Solardächer-Offensive für nicht weitreichend genug. „Wer sich für eine Solarpflicht für Neubauten ausspricht, muss auch noch einen Schritt weitergehen“, betonte die vdw-Verbandsdirektorin. Wer eine wirklich nachhaltige Reduzierung von CO2-Emissionen erreichen wolle, müsse die Voraussetzungen für eine dezentrale Energieversorgung grundlegend verbessern. Dreh- und Angelpunkt: Das geltende Mieterstromgesetz ist zu komplex und hat seine Ziele bislang völlig verfehlt. „Wir streben seit langem die unmittelbare Verwertung der im Haus oder im Quartier erzeugten Energie in den eigenen Mietwohnungen an. Der Strom, der auf dem Dach produziert wird, könnte in den Wohnungen darunter ressourcenschonend verbraucht werden. Und zwar für Beleuchtung, Waschen, Wärme- und Warmwassererzeugung mit Wärmepumpen, Kühlung, Elektromobilität und viele andere Dinge“, erläutert Verbandsdirektorin Dr. Schmitt. Allerdings sind zwei Jahre nach dem Start des Mieterstromgesetzes, das die Förderung von solaren Mieterstromanlagen zum Ziel hat, gerade einmal 1,5 Prozent des möglichen Förderrahmens ausgeschöpft worden. Die Zurückhaltung auf Vermieterseite ist vor allem auf die ungeklärten steuerlichen Auswirkungen zurückzuführen, denn Wohnungsunternehmen, die Strom aus erneuerbaren Energien lokal erzeugen wollen, werden steuerlich gravierend benachteiligt. Sobald sie den erzeugten Strom ins allgemeine Netz einspeisen oder den Mietern zur Verfügung stellen, wird die eigentlich gewerbesteuerbefreite Vermietungstätigkeit des Unternehmens gewerbesteuerpflichtig. „Weil solarer Mieterstrom durch unsachgemäße Umlagen, Abgaben und bürokratische Auflagen belastet wird, können wir unsere Klimaziele nicht erreichen.“