Vor 40 Jahren hat der Niedersächsische Landtag das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz beschlossen. Im Jubiläumsjahr hat Wissenschaftsminister Björn Thümler einen Runden Tisch einberufen, um das „System Denkmalpflege“ weiterzuentwickeln. Auch der vdw gehört zu diesem Arbeitskreis. Dreh- und Angelpunkt ist aber das Landesamt für Denkmalpflege. Mit dessen Präsidentin Dr. Christina Krafczyk sprach das magazin.
magazin: Frau Dr. Krafczyk, wie sieht ein „System Denkmalpflege“ für die Präsidentin des Landesamtes aus?
Dr. Christina Krafczyk: Ich sehe die tradierte Aufgabe staatlicher, also gesetzlich geregelter Denkmalpflege in der Benennung, Erhaltung und Weitergabe des materiellen Kulturerbes einer Gesellschaft von Generation zu Generation. Die Bewahrung unseres kulturellen Erbes ist eine gesellschaftliche Aufgabe, deshalb hat sich das Land Niedersachsen vor 40 Jahren ein Denkmalschutzgesetz gegeben. Auf dieser gesetzlichen Grundlage wurden Rahmenbedingungen und Einrichtungen geschaffen, um die notwendige Erforschung und Sicherung der vielfältigen, hochkarätigen Bau- und Kunstdenkmale und archäologischen Stätten in Niedersachsen dauerhaft zu ermöglichen.
In Niedersachsen verstehen wir das „System Denkmalpflege“ als das Zusammenspiel einer Vielzahl von Beteiligten auf der Denkmalbaustelle: die Denkmaleigentümerinnen und -eigentümer, staatliche und kirchliche Bauverwaltungen, die beratende und forschende Denkmalfachbehörde, 101 kommunale und eine staatliche Oberste Denkmalschutzbehörde im Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Planungsinstitutionen sowie zahlreiche Stiftungen, Vereine und wissenschaftliche Einrichtungen. Dabei übernehmen diese Beteiligten verschiedene Rollen wie beispielsweise die Bauherrenfunktion, die Aufgabe von Planung und Ausführung, die Vertretung des Denkmalschutzes oder die Beteiligung eines erweiterten Partnerfelds. Im Laufe der letzten 40 Jahre haben sich im Umgang mit dem Kulturerbe verbindliche Standards und klare Verfahrensabläufe etabliert. Dennoch sind die verschiedenen Blickwinkel und Einzelinteressen der Beteiligten dadurch nicht automatisch harmonisiert. Und es gibt zahlreiche andere öffentliche Belange, die es zu berücksichtigen gilt, wie beispielsweise die Themen Brandschutz oder Energieeffizienz, um nur einige der oftmals zunächst widerstreitend erscheinenden Interessen im Kontext der Denkmalpflege zu benennen. Für alle Beteiligte im „System Denkmalpflege“ ist es deshalb wichtig, dass wir uns stetig darüber austauschen, ob und wie wir das gemeinsame Interesse an der Erhaltung des kulturellen Erbes verfolgen können.
magazin: Welche Rolle kann die Wohnungswirtschaft dabei spielen?
Krafczyk: Die Wohnungswirtschaft übernimmt natürlich eine zentrale Rolle innerhalb der Bauherrenschaft, verantwortet sie doch einen großen Anteil des Baubestands aus dem 19. und 20. Jahrhundert, der zu einem nicht unerheblichen Teil auch Baudenkmale beinhaltet. Die Abwägung zwischen modernen Anforderungen an Behaglichkeit, Komfort und Energieeffizienz im Wohnbereich und den Fragen des Denkmalschutzes haben in der Vergangenheit gute und schlechte Beispiele denkmalgerechter Erneuerungen oder Erweiterungen gezeigt, die es aus meiner Sicht erforderlich machen, über zukünftige Tendenzen nachzudenken. Einerseits haben wir die gemeinsame Aufgabe eine dauerhafte Attraktivität und Nutzbarkeit der Wohnungen für die Bewohnerinnen und Bewohner sicherzustellen, andererseits müssen wir für die Qualitäten der Schutzobjekte werben. Wenn es gemeinsam gelingt, eine Wertschätzung für die Baudenkmale zu vermitteln, wenn wir neue Korridore einer Weiternutzung finden und „Ausnahmeregelungen“ durch den Denkmalschutz sinnvoll einsetzen können, werden die Themen der Denkmalpflege hoffentlich weniger als Einschränkungen wahrgenommen.
magazin: Ihre Zwischenbilanz nach den ersten Arbeitstreffen?
Krafczyk: Es gehört aus meiner Sicht zu den zentralen Aufgaben einer modernen Denkmalpflege, die Art und Weise des gelebten Denkmalschutzes im Kontext aktueller Forschung und gesellschaftlicher Randbedingungen zu evaluieren und, wo notwendig, anzupassen. Dazu wird der Runde Tisch „System Denkmalpflege“ einen wichtigen Beitrag liefern. Wir konnten in den ersten Arbeitstreffen sowohl über individuelle Problemfelder und Intransparenzen im Umgang mit dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz (NDSchG) und im System Denkmalpflege bilanzieren und sind nun dabei zu definieren, mit welchen Formaten wir darauf reagieren können. Aufgrund der Komplexität und Vielfalt der Aufgaben und Abwägungsprozesse in der Denkmalpflege wird es aber nicht um eine neue Publikation der Standards in der Baudenkmalpflege gehen. Vielmehr sollen die Lösungsformate dazu dienen, Ängste und Vorbehalte der Beteiligten auszuräumen und die positiven Aspekte und Chancen im Umgang mit Baudenkmalen zu benennen und Wege aufzuzeigen, wie man methodisch und abgestimmt vorgeht. Eines der Ergebnisse der Veranstaltung wird die analoge und digitale Veröffentlichung von Handreichungen zum guten Umgang mit dem Kulturerbe in Niedersachsen für die jeweiligen Rollen sein, welche die jeweiligen Zuständigkeiten und Vereinbarungen sowie methodische Ansätze für ein abgestimmtes Vorgehen und weitere Informationszugänge enthalten. Ein weiteres wichtiges Format zur Transparenz auf der fachlichen, öffentlichen und wissenschaftlichen Ebene wird der Denkmalatlas Niedersachsen sein, welcher die Vielfalt der Kulturlandschaften in Niedersachsen und den hochkarätigen Denkmalbestand erstmals mit verschiedenen Rechercheoptionen online zugänglich machen wird und somit als Werkzeug für die Fachleute der Denkmalpflege und Baupraxis sowie für die Forschung zur Verfügung steht.
magazin: Mehr „miteinander“ statt „gegeneinander“ – ist das vielleicht auch eine Botschaft?
Krafczyk: Ja sicher! Es ist zwar die Aufgabe der staatlichen Denkmalpflege, das Kulturerbe vor fehlgeleiteten Kurzfristinteressen zu schützen und Bedingungen für nachhaltige Sanierung und Pflege zu schaffen bzw. zu verbessern, aber das geht nicht ausschliesslich mit Gesetzen, sondern mit einer Diskussion auf Augenhöhe, mit möglichst geteilter Wertschätzung des Kulturerbes im Einzelfall und einer letztlich gemeinsamen Verpflichtung zur Erhaltung. Hier hilft jede Initiative, die das Augenmaß bewahrt. Gute Denkmalpflege ist immer auch gute Moderation und maßvolles Abwägen aller Interessen. Ich bin überzeugt, davon, dass wir als Denkmalpfleger nur in einem Netzwerk und interdisziplinären Diskurs der Kulturinstitute, der staatlichen und kirchlichen Bauämter, der Baupraxis, der Öffentlichkeit und den Hochschulen und vielen anderen unsere Themen als gesellschaftlich relevant und unsere Aufgabe als weiterhin notwendig platzieren können. Nur in einer klugen Zusammenarbeit der Verantwortlichen und mit der nachhaltigen Unterstützung von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern können Prioritäten richtig gesetzt und Nutzende überzeugt werden: somit würde auch die Wertschätzung der Bevölkerung für qualitätsvolle und identitätsstiftende Bauwerken ihrer Region gestärkt.
magazin: Lassen Sie uns bitte noch einige andere Themen anreißen. 100 Jahre Bauhaus – einige Ihrer Mitarbeiter haben dem magazin Fachbeiträge zur Verfügung gestellt – was bedeutet dieses Jubiläum für Sie persönlich und natürlich auch für den Denkmalschutz in Niedersachsen?
Krafczyk: Das Jubiläumsjahr war für uns und zahlreiche andere Kultureinrichtungen ein willkommener Anlass zu fragen, wieviel Bauhaus es eigentlich in Niedersachsen gab. Darauf hat die Landesvertretung Niedersachsen in Berlin mit einer Ausstellung über den „Traum vom neuen Leben“ geantwortet, das Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Oldenburg stellte beispielsweise die Berufsbiographien von Bauhaus-Schülern vor. In Osnabrück wurde die Geschichte der Bauhaus-Tapete des Unternehmens Rasch thematisiert und unser Landesamt hat eine Wanderausstellung „Auf dem Weg zum Bauhaus“ konzipiert. Das Bauhaus steht bekanntermaßen im Grundsatz für das Gegenteil dessen, mit dem Denkmalpflege normalerweise in Verbindung gebracht wird, mit dem Regionalen, dem Handwerklichen und ortsgebundenen Bauen. Es steht, so Winfried Nerdinger, für eine „industrialisierte, mobile und internationale Welt, die eine sachliche ornamentlose Gestaltung aller Lebensbereiche als einheitlicher Ausdruck der Gegenwart, als Modell und als Produkte entwickelt hatte.“ Die Objekte der Moderne – und vielfach noch weitergehend die Bauten der Nachkriegs- und Boomjahre – sind meist durch Konstruktionen geprägt, die nicht für „lange Dauer“ gedacht, nicht für lange Nutzung konstruiert waren. Die Denkmalpflege wirbt seit den 1990er-Jahren dafür, die wenigen, teilweise schlecht erhaltenen aber dennoch so wichtigen Repräsentanten des „Neuen Bauens“ der Weimarer Republik sorgfältig zu untersuchen, sensibel instand zu setzen und sie dauerhaft zu pflegen.
Niedersachsen ist in der glücklichen Lage, das bahnbrechende Hauptexponat der modernen Architektur als Initial der Innovation in seinen Landesgrenzen zeigen zu können: das Fagus-Werk, das der damals junge Berliner Architekt Walter Gropius für den Schuhleistenfabrikanten Carl Benscheidt 1911-1914 in Alfeld errichtet hatte. Mit der Bauaufgabe Industriebau, der bis heute ein Synonym für kurze Erneuerungszyklen, sich rasant ändernde Nutzungsanforderungen steht, ist es um so beachtlicher, dass dieses Bauwerk über die gesamte Zeit von mehr als 100 Jahren recht gut erhalten geblieben ist. Seit 1946 als Baudenkmal ausgewiesen, ist das Fagus-Werk aufgrund seines außergewöhnlichen universellen Werts für die weltweit sich durchsetzende moderne Architektur 2011 in die Welterbeliste der UNESCO eingetragen worden. Aber nicht nur der Denkmalschutz und der Welterbestatus, sondern die große Nutzungskontinuität und das damit verbundene Engagement der Familie Benscheidt/Greten, sich diesem Bauwerk zu verpflichten, hat den Erhalt dauerhaft sichergestellt. Dafür wurde der diesjährige Deutsche Preis für Denkmalschutz des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK), der Karl-Friedrich-Schinkel Ring, an Ernst Greten verliehen. Für den Bauherren und die vielen Beteiligten, aber auch für die niedersächsische Denkmalpflege ist eine solche Anerkennung auch eine besondere Motivation.
magazin: Noch mehr Klimaschutz im Wohnungsbestand, barrierearme Hauseingänge, neue Mobilitätskonzepte im Quartier – droht der Denkmalschutz unter diesen teilweise neuen Herausforderungen zerrieben zu werden?
Krafczyk: Es geht aus meiner Sicht nicht darum, die verschiedenen Anforderungen an den Wohnungsbestand gegeneinander auszuspielen, sondern eher darum, für einen gemeinsamen Blick auf das Ganze zu werben und aus dem Blickwinkel der Denkmalpflege aufzeigen, dass die bestehenden Strukturen bereits oft bewiesen haben, wie resilient sie sind, welche klugen individuellen Anpassungen im Einzelfall möglich sind und warum bestehende Gebäude bestimmte Bilanzierungen des Klimaschutzes längst erfüllen. So erzeugen Erhaltung und Umbau – normalisiert auf die Bezugsgröße einer Nutzflächeneinheit – um den Faktor vier geringere Umweltbelastungen als Abriss und Neubau.[1] Schwerpunkte dürfen nicht mehr beim Abriss und Ersatzneubau liegen, sondern beim Sanieren, beim Umbauen und bei der Weiternutzung des Bestehenden. Anders als beim Neubau haben wir es beim Umgang mit Bestand mit einer Umkehrung der Planungsprozesse zu tun. Wir müssen notwendigerweise von den jeweiligen Gegebenheiten und Qualitäten des Bestehenden ausgehen. Die Denkmalpflege könnte in ihren methodischen Vorgehensweisen und ihrem Ansatz zur Wertschätzung und Werterhaltung des Bestehenden eine Vorreiterin und wesentliche Impulsgeberin für eine Umbauordnung sein – insbesondere in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung als wesentlich prägende Elemente gesellschaftlichen Handelns im Fokus stehen.
magazin Vielen Dank, Frau Dr. Krafczyk, für dieses interessante Gespräch.
[1] Vgl. Hassler, Uta; Kohler, Niklaus; Paschen, Herbert (Hg.): Stoffströme und Kosten in den Bereichen Bauen und Wohnen. Berlin/Heidelberg 1999 (Konzept Nachhaltigkeit. Studienprogramm. Hg. v. Enquete-Kommission «Schutz des Menschen und der Umwelt» des 13. Deutschen Bundestages); Hassler, Uta; Kohler, Niklaus; Wang, Wilfried (Hg.): Umbau. Über die Zukunft des Baubestandes. Tübingen/Berlin 1999.