Hannover/Bremen. Die sozialorientierte Wohnungswirtschaft blickt mit großen Sorgen auf die kommenden Monate. Bei einer Umfrage unter den Mitgliedern des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen Bremen (vdw), an der sich 77 Unternehmen beteiligt haben, beurteilen 57 (74 Prozent) die aktuelle Geschäftslage als „schlechter“ oder „deutlich schlechter“ im Vergleich zum Vorjahr.
Besonders gravierend: Der Mietwohnungsneubau hängt am seidenen Faden. Haben im vorigen Jahr noch 42 der befragten Unternehmen Wohnungsbau betrieben, werden in diesem Jahr gerade noch 23 mit neuen Projekten beginnen, und acht davon haben ihre Neubaupläne um 30 bis 50 Prozent reduziert. „Diese Tendenz wird sich unter den jetzigen Rahmenbedingungen klar fortsetzen. Wenn die Politik nicht sofort handelt, wird der soziale Wohnungsbau zum Erliegen kommen“, befürchtet Verbandsdirektorin Dr. Susanne Schmitt.
Die vdw-Chefin sieht vielfältige Gründe für die Misere: „Die hohen Baukosten, die auch auf steigende Standards und hohe gesetzliche Anforderungen zurückzuführen sind, die Kapazitätsengpässe bei Zulieferern und im Bauhandwerk, die steigenden Zinsen, die wackelige Förderkulisse – die Probleme sind nicht neu, und sie sind der Politik längst bekannt. Aber geändert hat sich bislang nichts.“
Die vdw-Mitgliedsunternehmen haben laut Umfrage im vorigen Jahr 3412 neue Mietwohnungen fertiggestellt bzw. mit ihrem Bau begonnen. Im laufenden Jahr soll mit dem Bau von weiteren 1290 Wohneinheiten begonnen werden. „Die rückläufigen Zahlen bestätigen vollauf unsere Befürchtungen aus dem vergangenen Sommer. Leidtragende werden Tausende Haushalte im Verbandsgebiet sein, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind“, sagte Dr. Schmitt. Nach der damaligen Mitgliederumfrage hatte der vdw einen jährlichen Rückgang der Fertigstellungszahlen um 1500 Wohneinheiten ab 2023 prognostiziert. „Diese Zahl scheint sogar noch höher zu sein als vor einem halben Jahr befürchtet“, hebt die vdw-Chefin hervor.
Die schwierigen Rahmenbedingungen für die sozialorientierte Wohnungswirtschaft werden von den vdw-Mitgliedern in der Umfrage klar benannt. Die größten Herausforderungen sind „steigende Zinsen“ (Durchschnittswert 4,30, von 1 = weniger wichtig bis 5 = sehr wichtig), „Klimaneutralität des Bestands ohne ausreichende Förderung“ (4,31) und an erster Stelle die „Sicherung bezahlbarer Mieten bei anhaltendend steigenden Preisen“ (4,75). Gerade der letzte Punkt zeigt deutlich: Die vdw-Mitgliedsunternehmen sind weiterhin fest entschlossen und gewillt, sozialen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und anzubieten. Aber angesichts der Kostensituation wird es immer schwieriger, eine Nettokaltmiete von durchschnittlich 6,01 Euro zu halten.
Beachtenswert:
- Die befragten Wohnungsunternehmen melden für Bauvorhaben im vorigen Jahr durchschnittliche Kostensteigerungen zwischen zehn und 30 Prozent; teils konnten Teuerungen durch gute Vertragsgestaltungen mit Generalunternehmern verhindert werden, in Einzelfällen wurden aber auch Preissteigerungen im dreistelligen Bereich angegeben. Unterm Strich bestätigen die Angaben der vdw-Mitglieder die Zahlen des Statistischen Landesamtes, das für November 2022 beim Wohnungsneubau eine Preissteigerung von 17,7 Prozent gegenüber November 2021 errechnet hat. „Die Preise am Bau steigen seit anderthalb Jahren kontinuierlich mit hohen Raten weit jenseits der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Diese Preissteigerungen betreffen auch wichtige Modernisierungen* und Instandhaltungen** im Wohnungsbestand“, teilte Dr. Schmitt mit.
- Aufgrund der veränderten Situation an den Kreditmärkten, rückt die öffentliche Wohnraumförderung wieder mehr in den Fokus. Immerhin 29 Prozent der befragten Unternehmen wollen künftig vermehrt auf die öffentliche Förderung zurückgreifen, 41 Prozent sind in dieser Frage noch unentschlossen.
- Klimaschutz und die Reduzierung der CO2-Emissionen spielen bei den vdw-Mitgliedern eine immer größere Rolle. Photovoltaik inkl. Wärmepumpen, Anschlüsse an Fern- oder Nahwärmenetze, die energetische Qualifizierung der Gebäudehülle, aber auch der Einsatz von Geothermie stehen auf der To-do-Liste ganz oben. 256 Millionen Euro wollen die Befragten in diesem Jahr für Klimaschutzmaßnahmen im Bestand ausgeben; bei 46 Unternehmen (59,7 Prozent) liegt der Investitionsansatz höher als im Vorjahr.
Aus der Umfrage zieht Verbandsdirektorin Dr. Schmitt aber auch positive Erkenntnisse: „Die hohen Energiepreise scheinen zunächst für unsere Mitglieder keine gravierenden Auswirkungen zu haben. 56 Unternehmen (72,7 Prozent) sehen keine Gefahr, durch ausbleibende Nachzahlungen ihrer Mieter selbst in Liquiditätsschwierigkeiten zu geraten. Und auch die Mietforderungen sind bei 46 Prozent der Unternehmen gar nicht und bei weiteren 53 Prozent nur in Einzelfällen gestiegen. Für uns ein klares Zeichen dafür, dass die öffentlichen Hilfen gegriffen haben, dass die intensive Informationspolitik des vdw und seiner Mitgliedsunternehmen seit dem Sommer erfolgreich war, dass sich die langfristigen Verträge mit den Energieversorgern jetzt buchstäblich auszahlen, und dass das Vertrauen zwischen Mietern und Vermietern in der Krise nicht erschüttert worden ist.“
Dennoch, so die Verbandschefin weiter, dürfe dies alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage für Vermieter und Mieter auf längere Sicht angespannt bleiben dürfte. „Energie sparen ist weiterhin das Gebot der Stunde. Und sei es nur, um den eigenen Geldbeutel zu schonen“, sagte Dr. Schmitt.
Ihre Mitgliedsunternehmen sind nach Worten der Verbandsdirektorin „im Krisenjahr 2022 am Limit angekommen. Was auf die Genossenschaften und kommunalen Gesellschaften in den vergangenen Monaten an Gesetzen und Verordnungen eingeprasselt ist, hat jegliches Maß überschritten. Der geforderte hydraulische Abgleich, die unterjährige Verbrauchsinformation und die Umsetzung der so genannten Dezemberhilfe sind nur drei von vielen Beispielen.“ Hinzu kommen nach Ansicht von Dr. Schmitt die immer drastischeren Klimaschutzanforderungen an den Wohnungsneubau und die Bestandssanierung.
Die Forderungen des vdw zum Jahresauftakt fasst Verbandsdirektorin Dr. Schmitt zusammen:
- „Die energetischen Standards für Neubau und Bestand dürfen nicht weiter verschärft werden; auch nicht auf kommunaler Ebene. Zudem müssen Mieterstrommodelle deutlich vereinfacht werden, damit die vom Land angestrebte Photovoltaik-Pflicht für Neubauten auch zu nachhaltigen Klimaeffekten führt.“
- „Wir brauchen dringend eine Umbauordnung, die die Sanierung und Modernisierung des Bestandes vereinfacht. Nur dann können wir die Klimaziele im Gebäudebestand sozialverträglich erreichen. Runter mit den Standards, runter mit den Kosten; denn am Ende bezahlen es die Mieter.“
- „Nur auf günstigem Bauland können bezahlbare Wohnungen entstehen. Die Kommunen sind in der Pflicht. Das Land muss die verbesserten Instrumente zur Baulandmobilisierung stärker nutzen und den Kommunen die vergünstigte Abgabe von Grundstücken für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums erleichtern.“
- „Wir fordern die Energieversorger auf, die von der Bundesregierung angestrebte finanzielle Entlastung der Gas- und Fernwärmekunden durch die Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 7 Prozent bestmöglich umzusetzen und das jeweils günstigere Abrechnungsmodell im Sinne der Kunden zu wählen. Außerdem muss gesichert sein, dass Wohnungsunternehmen bei Auslaufen ihrer Energieverträge in die Grundversorgung und nicht in die teurere Ersatzversorgung fallen.“
*Modernisierung: Verbesserung des Zustands der Mieträume
**Instandhaltung: Erhalt bzw. Wiederherstellung des vertragsmäßen Zustands der Mieträume
Der vdw Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen Bremen vertritt die Interessen von 178 Wohnungsunternehmen. In ihren rund 400.000 Wohnungen leben fast eine Million Menschen. In Niedersachsen gehört jede fünfte Mietwohnung zum Bestand der vdw-Mitgliedsunternehmen, im Land Bremen liegt der Anteil sogar bei mehr als 40 Prozent. Die Mieten liegen im Durchschnitt bei 6,04 Euro pro Quadratmeter (nettokalt), in Niedersachsen sind es 6,01 Euro/Quadratmeter, im Land Bremen 6,15 Euro/Quadratmeter. Die vdw-Mitgliedsunternehmen sind somit die wichtigsten Anbieter von preisgünstigen Mietwohnungen in den beiden Ländern.